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Skulptur
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Der Faden, die Geliebte und das Labyrinth
Theseus bekam von ihr das Garnknäuel, fand aus dem Labyrinth heraus
und flüchtete mit ihr auf eine Insel. Der Undankbare verlies sie
aber und suchte sein Glück anderswo. So steht es zumindest im Lexikon.
Bis heute muss Ariadne als Motiv für unser künstlerisches Suchen
herhalten.
Dass sich in einem Labyrinth niemand verirrt, wissen wir aus einer anderen
Geschichte. Forschen wir weiter, so finden wir uns im Irrgarten wieder,
der wiederum kein Labyrinth ist.
Ein Labyrinth ist: eine lineare, graphische Figur, ein Architekturplan,
der von oben betrachtet, einen kreuzungsfreien Weg zur Mitte darstellt.
Der schmale Eingang führt den Betrachter schnell an das Zentrum heran,
wieder weg und bringt ihn schlieslich über den längstmöglichen
Weg zum Ziel. Nur durch eine Kehrtwendung am Ende des Ganges wird er wieder
herausgeführt. Das Labyrinth ist ein Gehäuse, wer es durchläuft,
zeichnet Ariadnes roten Faden nach.
Dieses geometrische Grundmuster formte ich als Plastiker in Eisenblech
nach. Ich zerschnitt es, drehte es, wendete es und fügte es wieder
zusammen. Einfache, formale Eingriffe, die jeder kennt, der mit Bauklötzen
spielte. Ein einziger Schnitt, eine Drehung und die Bodenskulptur wird
zur Raumskulptur. Ariadnes Faden, der zur Lagerung im überfüllten
Atelier das optimale Volumen hatte, entfaltet sich jetzt zur raumergreifenden
Linie. Dieses Spiel mit begrenzten Parametern (Drehung um 90°/180°/270°
eines abgetrennten Elementes) enthüllt uns einen unüberschaubaren
Formenreichtum. Variationen ohne Ende, deren Sinn sich in seiner formal
klarsten Lösung, dem Labyrinth zeigt.
Auf- und Abbau der Skulptur integrieren sich jetzt in ein Konzept der
stetigen Veränderung, der Annäherung an ein Ideal und der Verwirrung.
Um dem
Spiel der Variationen zu entrinnen muss ich die Skulptur abbauen . Ariadnes
Faden liegt dann wieder auf engst möglichen Raum vor meinen Füssen.
Doch skulpturale Eingriffe hinterlassen Spuren. Sie verändern die
Wirbelsäule des Künstlers.
Das “hantieren” mit Raumelementen bewältigen heutzutage
3D Zeichenprogramme mit Leichtigkeit. Die vom Kreateur gezeichneten Formen
können von allen Seiten betrachtet werden. Auf dem Bildschirm verlieren
sie ihre Schwerkraft, mühelos kann ihr Massstab verändert werden
und durch das Spiel mit ihren Parametern wird ihre ganze Vielfalt dargestellt.
Der Faden zeigt sich jetzt in neuen Konstellationen, die uns die widerspenstige
Skulptur verwehrte. Auf dem Bildschirm wurde ihr die Materie entzogen
und dennoch nähern wir uns ihrem Konzept immer mehr an. Einzelne
Formationen können wir abspeichern, sie mit anderen Dateien vernetzen,
sie animieren und so einen neuen virtuellen Parcours um das Fadenknäuel
festlegen. Der rote Faden ist nicht mehr Skulptur, er existiert nur noch
als “ja” und “nein” im binären Arbeitsspeicher.
Unsere Geliebte spinnt damit ihre Fäden durch die multimediale Architektur.
Dem Benutzer bleibt, wie im Labyrinth, keine Wahlmöglichkeit, er
kann nur innerhalb des festgeschriebenen Programms mit der Maus herumklicken.
Doch weitere Schleifen werden dann mit Ariadnes Faden verknüpft,
es entstehen Knoten und das ursprüngliche Labyrinth ist zum Irrgarten
mutiert.
Der rote Faden lebt jetzt in seiner virtuellen Welt. Auf dem Bildschirm
sehen wir Bilder einer Skulptur und gleichzeitig liegt sie immer noch
greifbar zu meinen Füssen .Ihr ganzes Spektrum wird erst durch den
Mausklick erfahrbar.
Konrad Loder, Le Perreux 2001
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